Wie retro ist das denn?

Wie schreibt man eine Liebeserklärung an seinen Beruf? Bei mir sieht sie so aus: Ich kam auf die Welt und wollte Designer werden. Kein anderer Beruf kam ernsthaft in Frage. Ich liebe diesen Beruf und habe ihm viel zu verdanken. So habe ich in meiner Karriere an unterschiedlichsten Stationen Erfahrungen sammeln dürfen und dabei die verschiedensten Sichten auf die Domäne kennengelernt. Es gibt das Design, und es gibt die DesignerInnen, es gibt den Beruf und seine Praxis, und es gibt die Hochschulen und ihre Lehre. Es gibt die KünstlerInnen und es gibt die ManagerInnen im Design. Design ist sichtbar als Produkt und unsichtbar als Prozess. Zum Berufsbild gehören das Erdenken von zukunftsorientierten Konzepten und das Entwerfen von praktischen Lösungen. Man kann mit Design seine Lorbeeren ernten und auch sein Geld verdienen. Letzteres kann man als GestalterIn in einem Dienstleistungsverhältnis, aber vor allem verdienen Unternehmen als marktwirtschaftliche und industrielle Verwerter mit den Leistungen von DesignerInnen. Denn Design ist ein Erfolgsfaktor für große Konzerne, so zum Beispiel für die Automobilindustrie.

Bei meiner über 40jährigen „Dienstreise“ in Sachen Design habe ich gesehen, wie sich die Professionalität einerseits und die Potenzialität andererseits entwickelt haben. Das sehr stark differenzierte Berufsbild reicht vom Service und Social Design hin zum Industrial und Innovation Design. Durch Karriere-Netzwerke wie LinkedIn konnte ich verfolgen, wie sich ehemalige Mitstreiter oder Studierende beruflich entwickeln. Bemerkenswert, dass sich recht viele in Jobs und Funktionen erfolgreich tummeln, die eigentlich als „artfremd“ gelten könnten. Ich vermute, dass Kreativität als ihre Kernkompetenz sie zu vielen Jobs in der Wirtschaft und auch in der Wissenschaft ermutigt und befähigt. Möglich, dass gerade unsere Zeit mit ihren vielen drängenden Problemen die Ausweitung der Optionen des Berufs mit verantwortet.

Lange Vorrede – kurzer Sinn: Design hat in den letzten 40 Jahren eine unglaubliche Karriere gemacht. Und weil ich Design liebe, bin ich enttäuscht, irritiert, ja verärgert von den VW-Aussagen im FAZ-Artikel „Volkswagen macht das Design zur Chefsache“. Das mag sich für Amateure spektakulär anhören. Profis fragen sich, welche subalterne Ebene im Konzern denn bis dato übers Design, einem der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren weltweit für Fahrzeuge, befunden hat? Ebenso verwundert die Ankündigung, die Auto-DesignerInnen „enger mit den Markenchefs zu verbinden“, weil das Design „über den Erfolg unserer Marken“ entscheidet. Stimmt, aber diese Erkenntnis ist doch schon mehrere Jahrzehnte alt und sollte schon längst in der Entwicklungs- und Markenpolitik selbstverständlich sein. Weiter ist von einer „runderneuerten Designsprache“ die Rede, um neue Kunden zu gewinnen und den Chinesen contra zu bieten. Angelehnt an „Ikonen“ wie Polo? Eigentlich sollte doch das Ziel sein, neue Ikonen zu gestalten und nicht, sich an alte anzulehnen. Warum geht es im Design und im Wording nicht avantgardistischer zu? Und auch die Versuche der Seat-DesignerInnen mit einem „Dark Rebel“ überzeugen mich nicht. Die FAZ spricht hier sogar von einem „Batmobil“! Die Beschwörungsformeln des Alten wie auch das Bild des Design-Versuchs lassen mich in 2023 ratlos zurück. Soll so die Transformation einer der deutschen respektive europäischen Schlüsselindustrien gelingen? Ich erwarte da eher nachhaltige, praktische, innovative Fahrzeugkonzepte und kein martialisches Retro-Design. 

Ich hätte mir gewünscht, dass VW sehr viel substantiierter auf die Herausforderungen der Zukunft geantwortet hätte. Klima, Mobilität, Energie, Technologie und Weltwirtschaft brauchen andere Game Changer als einen „Dark Rebel“. VW, die Zukunft ist kein Revival alter Erfolgskonzepte!

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auto-verkehr/volkswagen-auf-der-iaa-neue-strategie-fuer-design-und-marke-19148968.html

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