Der Kopf ist kein Streamingdienst

Es ist die Lebensform im Dasein von Professionals, dass sie sich mit der Entwicklung von etwas Neuem beschäftigen. Die Rede ist von professionell kreativen Berufsbildern, die nach meinem Verständnis eine Grundvoraussetzung für das Überleben von Gesellschaften sind. Vielerorts gibt es das Missverständnis, dass Kreativität so funktioniert wie das Orakel von Delphi, das plötzliche Eingebungen und Visionen hatte. Tatsächlich aber ist Kreativität eine permanente Auseinandersetzung mit einem Problem und das Denken in alternativen Lösungen. 

Der HB-Artikel beschreibt recht realistisch, wie in einem bestimmten Fall der Alltag eines Kreativen aussehen kann. Man braucht dringend eine schlagende Idee, die aber partout nicht kommen will. Da man sich aber schon länger hochkonzentriert mit dieser Aufgabe befasst, braucht es unbedingt einen Trigger. Dieser entsteht aber verblüffenderweise in einer völlig anderen Situation. Doch das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit. 

Auf solche kreativen Köpfe ist unsere Welt mehr denn je angewiesen. Die Menschheit steht vor heftigen Umbrüchen, es müssen Weichen gestellt und komplexe zukunftswirksame Entscheidungen getroffen werden. Und nach wie vor wird das nicht von Maschinen, sondern von Menschen übernommen. Diese haben ihre Stärken und Schwächen, ihre Erfahrungen und Interessen. Die Qualität ihrer Entscheidungen hängt auch davon ab, welche berufliche Bildung und Prägung sie haben. Leider ist häufig das Berufsbild von gestern. Eigentlich gehört kreative Grund(aus)bildung in alle Studiengänge. Tatsächlich werden aber oft mit einem „formschlüssigen“ Curriculum AbsolventInnen für die aktuelle Berufspraxis „produziert“. Dass die sogenannte Berufspraxis in vielen Fällen schon ein Auslaufmodell durch technologische Umbrüche in der Wirtschaft (z.B. durch KI) ist, wird dabei geflissentlich übersehen. 

Als Hochschullehrer für Design und Management sehe ich die kreativen Anforderungen auf zwei Ebenen. Zum einen sind beide Disziplinen eine Art von Mannschaftssport, der in einem hochgradig vernetzten Raum stattfindet mit dem Ziel von Innovationen. Zum anderen geht es um angewandte Forschungsprojekte in einem wirtschaftlichen Kontext. Dieses kreative Arbeiten kann man schon im Studium lernen. Dafür braucht es eine am Projektstudium orientierte Organisation, das didaktische Konzept des Forschenden Lernens und das Verständnis, dass auch Wissenschaft ein sozialer Prozess ist. In der Lehre sind es dann variable Vorgehensweisen, anpassbare Methoden und herausfordernde Aufgaben, die die Studierenden in einem Semester trainieren. Hier zeigt sich dann, dass der Kopf kein Streamingdienst ist, der Ideen und Lösungen on-demand produziert. Es braucht das kreativ-wissenschaftliche Arbeiten, weil es Wahrscheinlichkeiten erhöht, es bringt einen näher an richtige Lösungen und schafft zeitliche Effizienzen. Kreativität ist harte professionelle Arbeit!

https://www.handelsblatt.com/karriere/karrierecoach/thielemanns-kopfsache-wieso-ideen-sich-nicht-erzwingen-lassen/100016290.html

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