Wenn Leonardo auf Ökonomik trifft

Eigentlich dachte ich, dass mir nichts Neues geboten wird. Es kam anders! Der Besuch von „Leonardo da Vinci – uomo universale“ in Wuppertal hat sich gelohnt, weil deutlich wurde, wie sehr Kreativität die Empirie und Innovation das Experiment braucht. Neues erfordert Menschen mit hybrider Wissensbasis, die nach unbekannten Vernetzungen suchen. Voraussetzung ist eine gesunde Portion „Größenwahn“, lauert doch das Umfeld auf das Scheitern. Hat der Mensch ein dickes Fell, kann er seine eigenen Grenzen immer wieder neu abstecken.

Grenzen verschieben wollen auch die AutorInnen von „Was ist nun mit dem Markt?“ (FAZ 6-11-2023), wenn sie feststellen, dass die Ökonomik „an den Schnittstellen zur Philosophie und zur Geschichte“ noch Luft nach oben hat. Lisa Herzog und Stefan Kolev streiten sich über die Rolle von Märkten und entdecken dabei ihre gemeinsamen Positionen. So entsteht die Auffassung, dass eine „philosophisch reflektierte Ökonomik … mehr Wert auf Wissenschaftstheorie und normative Analyse“ legen würde. Ich kann das unterschreiben, alle meine Erfahrungen in und außerhalb der Wissenschaft bestätigen dies. Die Realisierung dieser Forderung ist allerdings überfällig. Unsere in Transformation befindliche Gesellschaft ist auf Menschen angewiesen, die gelernt haben, auf wissenschaftlicher Basis neue Erkenntnisse und Handlungskompetenz zu gewinnen. Wer nur Vergangenheit fortschreibt, landet im Spamordner der Geschichte! Transformation lässt sich nicht nach alten Rezepten lenken, sondern nur in einem kollektiven, zukunftsgeleiteten Wertekanon gestalten, der vorher kritisch hinterfragt und elaboriert wurde. Von hoher Sprengkraft ist auch die Frage der AutorInnen: „Wie lernfähig ist das Fach gegenüber den Bedürfnissen der Gesellschaft?“

Diese Frage stelle ich mir auch zum Thema Marke. Wie aktuell ist das Konstrukt in einer Gesellschaft, die sich neu erfinden muss – und mit ihr auch die Wirtschaft. Ich denke, dass unsere Wirtschaft schon lange an diagnostiziertem Bluthochdruck leidet. Und weil der Patient davon nicht beeinträchtigt scheint, wird diese Krankheit so lange ignoriert, bis das Herz erschöpft ist. Die Einsicht in den eigenen Zustand wird entscheiden, ob rechtzeitige System- und Verhaltensänderungen den Kollaps vermeiden. Es wird an den Menschen dieser Marktwirtschaft liegen, ob neue, belastbare Konzepte zur Marke entstehen. Wie lernwillig und wie weitsichtig können wir sein? Sind wir in der Lage, unsere bislang gültigen Paradigmen des wirtschaftlichen Handelns infrage zu stellen? Erkennen wir den Handlungsbedarf? Braucht es eine konkrete Utopie?

Was BWL und VWL von Leonardo da Vinci lernen können? Das universale und relationale Denken! Wenn die Ökonomik auf Innovationen in der Transformation setzt, dann muss sie ihre eigene Kreativität finden. Zu den Denkmethoden gehören das induktive, das deduktive, aber auch das abduktive Denken – Was wäre, wenn …?

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/herzog-gegen-kolev-was-ist-nun-mit-dem-markt-19241602.html

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