Missing in Action?

Ohne Zweifel: Jeder Mensch ist kreativ! So wie auch jeder Mensch kochen kann. Aber wo liegen die Unterschiede zwischen uns „Normal-Sterblichen“ und den Genies aus der Wissenschaft, den Ausnahme-Künstlern und dem Chefkoch einer 3-Sterne-Küche? Wenn man sich die Biografien kreativer Persönlichkeiten anschaut, erfährt man, wie mannigfaltig Talent begründet ist. Viele dieser Bedingungen sind in der Person selbst zu finden. Aber viele Erfolgsfaktoren liegen auch in ihrem Umfeld und in glücklichen Umständen. Als „normalen“ Wissenschaftler interessieren mich mehr das Umfeld und die Umstände. Geht es mir doch um die Übertragbarkeit und Anwendung dieser Erkenntnisse in beruflichen Regel-Situationen und nicht um Einzel-Phänomene.

Wenn ich als Designwissenschaftler über Kreativität schreibe, denke ich, dass es vermutlich den Ökotrophologen ähnlich ergeht – sie wissen, wie sich der Mensch gesund ernährt und sehen trotzdem gleichzeitig die vielen negativen Konsequenzen für unsere Gesellschaft durch falsche Ernährung. In einem SZ-Interview (27.10.2023) gab der britische Starkoch und Bestsellerautor Jamie Oliver seine persönliche Antwort: „Fettleibigkeit ist eine normale Reaktion auf ein abnormales Umfeld“. Ob das auch für die Kreativität gelten könnte? Einfallslosigkeit als normale Reaktion auf ein abnormales Umfeld? Ich vermute, dass wir die Rahmenbedingungen für Kreativität ignorieren, weil wir eigentlich nur wenige, am besten gar keine neuen Ideen wollen. So, wie es ist, ist es gut genug. Basta!

In den letzten Tagen wurden „zwei außergewöhnliche Frauen“ (HB 29.10.2023) mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet – die Klimaforscherin Friederike Otto vom Imperial College London und die Holzbau-Unternehmerin Dagmar Fritz-Kramer aus dem Allgäu. Bei solchen Gelegenheiten erfährt man durch die Medien immer etwas über die Biografien der PreisträgerInnen. Nach meinem Verständnis hätten beide Frauen auch noch den Deutschen Kreativitätspreis – wenn es ihn denn geben würde – verdient, weil das innovative Ergebnis der Leistungen immer Basis ihrer jeweiligen kreativen Potenziale ist. Beide arbeiten wohl in einem Umfeld, das sie nicht nur gewähren lässt, sondern auch aktiv unterstützt. Ob Prof. Dr. Otto sich und ihre Leistungen auch hätte entwickeln können, wenn sie an einer deutschen Universität tätig wäre? Und ob die mittelständische Unternehmerin Fritz-Kramer genauso erfolgreich sein könnte, wenn sie in einem deutschen Konzern arbeiten würde? Jedenfalls hat in diesen Tagen die Wirtschaftswoche den Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer mit der Aussage zitiert: „Chinesen sind uns um Jahre voraus“ In diesem Kontext empfiehlt er den deutschen Automarken eine Kooperation mit ihren chinesischen Wettbewerbern. Und dies nicht in erster Linie aus Kostengründen, sondern wegen des Knowhow-Vorsprungs. Ging bei der Jagd nach Rendite der Innovationsvorsprung verloren? Creativity – Missing in Action?

https://www.sueddeutsche.de/leben/kreativitaet-forschung-psychologie-1.6290913

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