Eine Aufgabe für Vor-, Um-, und Nachdenker

Weil es keinen ernsthaft interessiert – so meine These zum FAZ-Artikel „Niemand fragt konkret“, in dem es um die Frankfurter Bewerbung als „World Design Capital“ geht. Leben wir in der Welt der Soundbites? Und kommunizieren wir nur über Headlines? Zugegeben, der Claim „Design for Democracy“ klingt gut, passt in die Zeit und bleibt offenbar unverbindlich. Ist das sogar das Problem?! In Israel gehen gerade die Menschen gegen ihre demokratisch gewählte Regierung auf die Straße und kämpfen für den Erhalt der Demokratie. Verrückt?! In den Nachrichten kann man sehen, wie schmerzhaft das sein kann. Selbst Europa ist keine Insel der Glückseligen mehr. Und spätestens mit dem vorletzten US-Präsidenten wissen wir um die Begrenztheit der Demokratie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. 

Demokratie ist nicht die Macht der Wähler über die Nichtwähler, nicht die Macht der 51 Prozent über die „restlichen“ 49 Prozent der Wahlberechtigten und Demokratie ist nicht delegierbar. Aber was ist Demokratie? Demokratie ist ein großes Haus mit viel Raum für Gestaltung über diverse Etagen und einem Fahrstuhl in die Zukunft. Ein solches Haus mit funktionierendem Betrieb braucht keine Brandmauern, weil alle Bewohner wissen, mit wem sie es zu tun haben und die Nachbarschaft sich aufeinander verlassen kann. Wichtig aber sind Menschen, die ihre demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten als Privileg empfinden und ihre Potenziale als Verpflichtung sehen, sie zum Wohl der Zivilgesellschaft einzusetzen. 

Design für eine Demokratie im 21. Jahrhundert – eine wunderbare Herausforderung für Vor-, Nach-, Mit-, Um-, Quer-, Zurück-, Be-, Ver- und Erdenker. Auf jedenfalls nichts für Small Talker. Das Projekt passt gut in eine Zeit, in der schnelle politische Antworten gerade Konjunktur zu haben scheinen. So lautet eine dieser flachen Parolen, dass alles bleiben muss, wie es ist, damit unser Wohlstand erhalten bleibt. Eine Haltung, gegen die das Design durchaus argumentieren sollte. Demokratie ist nicht die Macht der Bewahrer über die Innovatoren. 

Das Schreckgespenst der Deindustrialisierung geistert durch die Republik. Ein nennenswerter Beitrag der Industrie-DesignerInnen zur Erneuerung der industriellen Landschaft, bleibt bisher aus, obwohl das Potenzial vorhanden ist. Demokratie ist nicht die Macht der Schwarzseher über die Zukunftsgestalter. 

Im Kontext der Transformation sind Real-Labore und „Creativity and Social Hubs“ in aller Munde. Reden in den Beteiligungs- und Gestaltungsprozessen die DesignerInnen mit? Demokratie ist nicht die Macht der Wissenden über die Unwissenden. 

Die Folgen des Klimawandels werden durch alle gesellschaftlichen Bereiche zu bewältigen sein. Hierfür sind strukturelle Eingriffe erforderlich. Und dazu gehören auch Änderungen im Verhalten der Menschen. Administrativer Trägheit ist durch kreative Planung zu begegnen. Hierzu könnte das Design in interdisziplinären Teams relevante Beiträge beisteuern . Demokratie ist nicht die Macht der Juristen über die Macher. 

Mag sein, dass im stillen Kämmerchen Kluges gedacht wurde, um „Design for Democracy“ zu elaborieren. Was fehlt, ist eine breite, öffentliche Diskussion mit massiver Durchschlagskraft. 

https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/niemand-fragt-konkret-wegen-world-design-capital-19050920.html