Provozierende Nadelstiche setzen!

„Wir müssen ganz einfach provozieren“, so die Head eines Interviews von 1985. Es wurde mit mir als damaligem Leiter des Rats für Formgebung, seinerzeit in Darmstadt, geführt. Der Designpolitik ging es damals an den Kragen. Dagegen plädierte ich vehement. Ich wollte mit meinem Statement klar machen, dass es gute Gründe gibt für staatliche Designförderung. Der Bund war damals dabei, sich aus der Designpolitik zu verabschieden. Und das mit der Begründung, dass Design (ausschließliche) Sache der Wirtschaft sei. Diese Begründung leuchtete mir nicht ein. Denn schließlich ließe sich dies auch auf Technologie übertragen. Und in dem Feld wird wohl niemand die Notwendigkeit der staatlichen Förderung bestreiten. Daher argumentierte ich, dass Designpolitik neben der instrumentellen Funktion für die Wirtschaft vor allem auch eine wesentliche Bedeutung für die Menschen in ihrer artifiziellen Umwelt hat. Hinzu kommt, dass Designpolitik nicht nur die Produkte zu feiern, sondern auch die Prozesse zu fördern hat. Sind diese doch stark von der Kreativität ihrer Protagonisten abhängig. Meine „Provokation“ zielte auf die notwendige Trias von Design, Kreativität und Innovation – aber ohne Erfolg. Leider zog sich die Politik trotzdem aus der Designförderung zurück!

Wir brauchen Institutionen und Projekte, die immer wieder öffentliche Nadelstiche mit ihren Botschaften setzen, damit unsere Gesellschaft nicht kollektiv in den berüchtigten Sekundenschlaf verfällt. Es ist ein Kampf gegen aktuell marodierendes Desinteresse gepaart mit blanker Oberflächlichkeit, der gerade jetzt geführt werden muss. Entscheiden wir doch mit unserem Engagement, wie sich die Welt insgesamt unddas Leben des Einzelnen entwickeln wird. Die letzten Jahrzehnte waren für Deutschland eine Erfolgsgeschichte, die sich nicht zwangsläufig wird fortschreiben lassen. Viele der Parameter, die unseren Erfolg unterstützt haben, sind nicht mehr da oder haben sich stark gewandelt. Die Anpassungsmaßnahmen bedeuten Veränderung und die hat sich bedauerlicherweise nicht zum Gassenhauer in den Köpfen der Menschen entwickelt.

„Design for Democracy“ braucht elaborierte Konzepte mit dezidierten Argumenten und einer aufmerksamkeitsstarken Kommunikation, andernfalls wird das Ziel Wunschdenken ohne Wirklichkeit bleiben. Eine „World Design Capital“ darf nicht in ihrer Vergangenheit schwelgen, sondern muss Zukunft auch experimentell provozieren. Es wird nicht nur feierliche Hauptstadt sein, sondern auch hektische Werkstatt, laute Baustelle und vermeintlich unlogische Laborversuche bis hin zu Graswurzelprojekten. Nicht nur die Honoratioren haben aktiv einzugreifen, sondern alle haben die Ärmel hochzukrempeln und tatsächlich mit anzufassen. Nur artig zu sein, wird nicht reichen! Design for Democracy ist ein philosophisch-intellektuelles und aktivistisches Trainingscamp für den praktischen Ernstfall – so mein Verständnis.

Bildquelle: Eigenes Bild